Applications

 

application: a formal request for permission to do something; the act of making a rule operate or become effective; an act of putting something on a surface; determination to work hard at something […].

Normalerweise denken wir das Werk eines Künstlers in Bezug auf zwei getrennte Momente: das Konzept oder die Idee und deren Verwirklichung oder Umsetzung, das disegno oder der Plan und dessen Ausführung und Vollendung. Mit anderen Worten: das Projekt und das Produkt, die Intention und ihre Erfüllung, das Vorhaben und das Abgeben. Insofern liefert Aldo Giannotti einen wichtigen Hinweis, wenn er seine Ausstellung Applications betitelt. Er lenkt nämlich unsere Aufmerksamkeit vom Werk ab, um sie auf das Wirken zu richten, auf das Einwirken und Auswirken von Ideen. Man könnte sagen, bei dieser Ausstellung geht es um Skizzen und Entwürfe, deren Potential am Werk ist, ohne Werk zu sein. Oder noch besser: Es geht um die Wirksamkeit und Wirklichkeit von Möglichkeiten.

Eine erste Bedeutung des englischen Wortes application ist ‚Bewerbung’. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, da in der Ausstellung einige Projekte präsentiert werden, die Giannotti in den letzten Monaten bei verschiedenen Kunstinstitutionen eingereicht hat. Es sind Bewerbungen und Einreichungen, Projektbeschreibungen inklusive Kosten-kalkulationen, und als solche werden sie auch ausgestellt. Es sind Absichtserklärungen, die zu einem Prozess gehören, welcher der Realisierung eines Werkes vorausgeht. Dadurch legt der Künstler etwas offen, was der künstlerischen Produktion wesentlich ist, aber in der Regel keine öffentliche Sichtbarkeit findet.

Mit dem Projekt The exponential growth bewirbt sich Giannotti für einen Preis, welchen Kunstraum Niederösterreich seit 2007 jährlich für Performancekunst ausschreibt. In ihm zeichnet er den Umriss einer performativen Versuchsanordnung, welche eine sozio-ökonomische Erfahrung ermöglicht. Im Mittelpunkt des Projektes stehen das Geld und seine Wahrnehmung: einerseits als fundamentales Bindeglied für den sozialen Körper und als Paradigma für den symbolischen Austausch, andererseits als Form von Kulturgewalt, die auf die Gemeinschaftsmitglieder wie eine physikalische Kraft einwirkt und eine Beugung des sozialen Raums erzeugt.

Das Projekt The museum as a gym wurde für das Museum Kunsthaus Graz ausgearbeitet. In ihm überschneidet sich die Bedeutung von application als Bewerbung mit einer zweiten Bedeutung des Wortes, nämlich ‚Verwendung’ und ‚Gebrauch’. Ausgehend von der Idee eines Kunstmuseums als Fitnessstudio für den Geist sowie von der lateinischen Wendung mens sana in corpore sano hat der Künstler eine Reihe von Zeichnungen realisiert, die als Anweisungen für die Nutzung der Museumsinfrastruktur fungieren. Sie laden die Besucher/innen dazu ein, sich umzuorientieren und die Institution als Fitnessstudio zu verwenden. Auf diese Weise wird das Museum auf funktionale Belastbarkeit und soziale Elastizität geprüft.

Die Bedeutung von application als Verwendung vereint sich im Projekt The museum as a toolbox mit einer dritten Wortbedeutung: die ‚Anbringung’ oder ‚Befestigung’ von etwas auf einer Fläche. Auf Einladung vom Muzeum Sztuki in Lodz (Polen) hat Giannotti über das Museum der Zukunft nachgedacht und vor Ort ein Projekt zu diesem Thema konzipiert. Angeregt von den typographischen Arbeiten eines Mitgründers des Museums – der polnische Maler und Kunsttheoretiker Wladyslaw Strzeminski – hat sich der Künstler die Schriftzeichen eines Fonts angeeignet, der speziell für das Muzeum Sztuki gestaltet worden ist. Daraus ist ein Projekt entstanden, das darin besteht, sämtliche Schriftzeichen – inklusive Satzzeichen wie Fragezeichen und Rufzeichen – einzeln auf A1-Poster zu drucken und dem Museumspublikum als Werkzeuge zur Verfügung zu stellen. Diese Werkzeuge können sowohl innerhalb als auch außerhalb des Museums Verwendung finden, indem sie auf sichtbare Flächen angebracht oder affichiert werden. Dadurch verleiht das Museum der Zukunft seinem Publikum Wort und Stimme und verschafft diesen Raum und Resonanz. In diesem Sinne beinhaltet die Wandschrift, die in der Ausstellung zu sehen ist, gleichzeitig dreierlei: einen Titel, ein Statement und eine mögliche Anwendung des Projektes.

Auch in Buildings on Buildings, das Giannotti bei KÖR – Kunst im öffentlichen Raum – eingereicht hat, ist die Bedeutung von application als Anbringung von etwas auf einer Fläche zu finden. Konkret geht es hier um die großformatige Reproduktion von Zeichnungen auf Fassaden und kahlen Seitenwänden von Wohngebäuden im Wiener Stadtraum. Die gewählten Zeichnungen haben dabei räumliche Verhältnisse und Architektur zum Thema. Damit möchte der Künstler eine produktive Feedbackschleife oder Widerhall erzeugen zwischen dem Sujet der Zeichnung und dem Kontext, in welchen die Zeichnung eingebettet ist. Ein Beispiel eines solchen Echos erklingt bereits in dem doppeldeutigen Titel Buildings on Buildings: Es sind „auf Gebäuden (gemalte) Gebäude“ und gleichzeitig „über Gebäude (nachdenkende) Gebäude“.

Das letzte Projekt, The open, ist eine versäumte Bewerbung, die Giannotti für das Festival der Regionen 2017 einreichen wollte und aus kontingenten Gründen nicht gemacht hat. In ihm hinterfragt er die zweckfreie Benutzbarkeit baufälliger architektonischer Strukturen, die durch zeitliche Abnutzung von ihrem ursprünglichen Gebrauch getrennt und oft zu touristischen Sehenswürdigkeiten werden – man denke an den schiefen Turm von Pisa oder an die Ruine der Abbazia von San Galgano, auf die sich der Künstler hier ausdrücklich bezieht: eine Abtei, die als Obdach für eine geschlossene, religiöse Gemeinde fungierte, deren Dach allerdings eingestürzt ist…

Abschließend möchte ich auf eine letzte Wortbedeutung von application verweisen, die wir bisher nicht erwähnt haben, die aber meiner Meinung nach besondere biografische Züge trägt: die Bedeutung von Fleiß, Eifer und vielleicht sogar Hingabe. In diesem Sinne möchte ich mich bei Aldo herzlich bedanken – für seine jahrelange Hingabe an den Möglichkeitssinn sowie für die großzügige Gabe seiner Kunst.

Giorgio Palma

Der vorliegende Text ist eine Überarbeitung der Rede, die anlässlich der Eröffnung von Aldo Giannottis Ausstellung Applications am 7. Juni 2016 im Projektraum Viktor Bucher gehalten wurde.

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